Der Mont-Saint-Michel, der als kegelförmige Felsinsel im Watt an der Grenze zwischen Normandie und Bretagne liegt, gehört zu den meist besuchten Sehenswürdigkeiten Frankreichs. Über 3 Millionen Besucher pilgern jährlich dorthin. Die allermeisten kommen mit dem Auto, parken an den riesigen Parkplätzen auf der Ostseite des Flüsschens Couesnon und fahren mit dem Pendelbus bis zur elegant geschwungenen Brücke, über die man zu den Toren des Heiligen Berges gelangt.
Wenn man den Mont-Saint-Michel zum ersten Mal besucht und Berg, Kloster und Kirche ausgiebig besichtigen möchte, ist das die praktischste Variante, dorthin zu gelangen.
Man kann sich aber auch wesentlich gemächlicher und dennoch erlebnisreicher auf den Weg zum Klosterberg machen: zu Fuß durch die Bucht des Mont-Saint-Michel, wie es die Pilger über Jahrhunderte hinweg getan haben. Früher war das gefährlicher, weil der „Berg“ (bis zur Figur des Erzengels Michael ist er gerade einmal 156 Meter hoch) öfter zur Insel wurde und Wanderer zusehen mussten, dass sie rechtzeitig vor der Flut an Land kamen. Heute, da die Bucht des Mont-Saint-Michel nach und nach verlandet, passiert das nur alle paar Jahre mal.
Trotzdem empfiehlt es sich, die Durchquerung der Bucht (frz. traversée de la baie) mit einem kundigen Führer zu unternehmen. Zum einen, weil man dann weder in Treibsand noch in zu hohes Wasser gerät. Zum anderen, weil die zertifizierten und zugelassenen Guides vieles über die Geschichte des Klosterbergs sowie über die Flora, Fauna und Ökologie der Bucht zu erzählen haben. Das macht die Wanderung richtig spannend.
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So verläuft die Traversée de la Baie du Mont-Saint-Michel
Wir waren mit Ludovic (Ludo) unterwegs, der an der Bucht des Mont-Saint-Michel aufgewachsen ist und in Saint-Léonard lebt. Dort war auch der Ausgangspunkt unserer Tour, und zwar am Ecomusée de la Baie du Mont-Saint-Michel, das übrigens durchaus sehenswert ist. Andere Guides starten in Bec d’Andaine.
Die Startzeit richtet sich nach den Gezeiten (man überquert die Baie natürlich bei Ebbe), bei uns ging es um 10.00 Uhr morgens los. Und zwar gleich barfuß. Zunächst schritten wir über eine Wiese …
und dann ging es ab in den Matsch.
Tatsächlich war das erste Stück des Wegs durch die Bucht des Mont-Saint-Michel sehr schlickig und rutschig. Ich hatte sofort kleine Matschhaufen auf den Zehen und musste aufpassen, nicht auszurutschen.
Nach ein paar Gehminuten kommt man aber auf einen schönen, glatten Sandboden, auf dem es sich sehr angenehm geht.
Noch ist das Ziel der Wanderung weit entfernt. Rechts im obigen Bild sehr ihr die Mini-Insel Tombelaine, zu der es ebenfalls geführte Wanderungen gibt.
Mal ehrlich, das sieht doch eher nach Wüste aus als nach Meeresboden, oder? Bis auf die Muscheln vielleicht.
Die Sache mit dem Treibsand in der Bucht des Mont-Saint-Michel
So mancher Wattwanderer gruselt sich davor, bis über die Ohren im Treibsand (frz. sables mouvants) zu versinken, wie man das aus Filmen kennt. Wer sich ein bisschen auskennt, weiß aber, dass das nicht passieren kann. Gefährlich wird es im Treibsand nur, wenn man dort feststeckt, wenn die Flut kommt.
Dabei ist es eigentlich einfach, sich aus einer Treibsandstelle zu befreien. Man muss nur wissen, wie es geht. Das hat uns Ludo sehr anschaulich gezeigt. Zunächst sollten alle ein bisschen auf dem gummiartigen Untergrund wippen, damit sie schnell einsinken.
Das klappte auch.
Der normale Impuls ist dann, ein Bein nach oben herauszuziehen. Das aber führt dazu, dass man mit dem anderen Bein umso tiefer einsinkt. Sich mit den Händen abzustützen ist keine gute Idee, sonst stecken am Ende die Arme auch noch im Sand, der sie recht schnell unangenehm fest einschließt.
Wie man es richtig macht, zeigte uns Ludo, der sich vorher bis zur Hüfte hatte einsinken lassen:
Man zieht erst ein Bein so weit heraus, dass man sich damit auf den Sand knien kann. Damit vergrößert sich die Auflagefläche und man sinkt nicht ein, wenn man das andere Bein nachzieht. Eigentlich logisch.
Trotzdem fand ich es ganz gut, dass wir einen Guide dabei hatten, der weiß, wo man aufpassen muss. Danach ging es wieder über festen Grund weiter.
Die Legende zum Îlot Tombelaine
Da man in einem weiten Linksbogen durch die Bucht des Mont-Saint-Michel wandert, kommt man dabei auch näher an die zweite Insel heran. Von der Fläche her ist sie mit 4 ha größer als der Klosterberg, sie ist aber deutlich niedriger: Die höchste Stelle liegt gerade einmal 45 Meter über dem Meeresspiegel. Tombelaine ist heute unbebaut und unbewohnt, wenn man von den Seevögeln absieht.
Das ist die Geschichte, die Ludo uns zur Entstehung des Namens der Felsinsel erzählte:
Die schöne Normannin Élaine und der bretonische Ritter Montgoméry hatten sich unsterblich ineinander verliebt, konnten aber aus politischen Gründen nicht heiraten. So trafen sie sich bei Ebbe immer heimlich auf dem Inselchen. Als der normannische Herzog Wilhelm aufbrach, um England zu erobern, warb er auch bretonische Kämpfer an, darunter den Lehensherrn von Montgoméry. Der Ritter musste also mit dem Eroberer über den Ärmelkanal ziehen und fiel bei der blutigen Schlacht von Hastings.
Als Élaine davon erfuhr, ging sie ein letztes Mal hinaus zu dem Ort, wo sie mit ihren Geliebten so glücklich gewesen war und legte sich dort mit gebrochenem Herzen zum Sterben nieder. So wurde der Felsen zum Grab Élaines, was auf Französisch Tombe d’Élaine heißt und zu Tombelaine verkürzt wurde.
Seufz. Ist das nicht romantisch?
In Wirklichkeit ist die Namensgebung wohl wesentlich prosaischer zu erklären: Der Mont-Saint-Michel hieß, bevor er zum Klosterberg wurde, im Volksmund Mont Tombe (Grabberg). Tombelaine ist davon eine Verkleinerungsform, bedeutet also „kleiner Grabberg“.
Im Mittelalter war Tombelaine übrigens bebaut, nämlich erst mit einer Priorei, dann mit einer kleinen Burg. Die Gebäude wurden aber im 17. Jahrhundert komplett zerstört. Heute ist das Inselchen als Vogelschutzgebiet ausgewiesen, das zur Brutzeit nicht betreten werden darf. Zudem ist es als monument historique vor einer Bebauung und/oder touristischen Nutzung geschützt.
Wattwandern: Ab durchs Wasser!
Da von Osten her zwei weitere Flüsschen, nämlich die Sée und die Sélune, in die Bucht des Mont-Saint-Michel münden, muss man bei der Traversée de la Baie auf jeden Fall durch den Wasserlauf waten, zu dem sich beiden vereinigen. Wir waren an einem Tag mit niedrigem Koeffizienten unterwegs. Weiter als bis zum Knie ging mir das Wasser nicht, obwohl ich nicht besonders groß bin.
Ludo ging bei der Durchquerung des zweiten Armes des Flussbetts vorsichtshalber voraus, um die Tiefe zu prüfen.
Und dann gelangten wir ans Ziel unserer Pilgerschaft:
Nach der ruhigen Wanderung durch die Bucht war das lebhafte Treiben am Eingang zum Mont-Saint-Michel fast zu viel für uns. Obwohl für dortige Verhältnisse gar nicht so viel los war.
Der einstündige Aufenthalt, der bei unserer Wanderung vorgesehen war, genügte, um die Toilette aufzusuchen, die mitgebrachte Brotzeit zu verzehren und dem bunten Treiben zuzusehen. Da ich schon mehrmals dort war (das erste Mal im Jahr 1988!), war das kein Problem, denn bei der Traversée de la Baie ist buchstäblich der Weg das Ziel.
Wie verließen also den Mont wieder und machten uns auf den Rückweg.
Ludo erzählt uns noch einiges über die Gezeiten und die ökologischen Herausforderungen, vor denen man in der Bucht des Mont-Saint-Michel steht. Ein Problem ist unter anderem die Verbeitung der Amerikanischen Pantoffelschnecke (Crepidula fornicata), die einheimische Arten wie die Miesmuscheln und Austern verdrängt.
Auch die Verlandung der Bucht war ein Thema, die durch den Abriss des früheren Damms und die Nutzung des Couesnon als „Sand-Herausspüler“ wohl nur verzögert, aber nicht gestoppt werden kann.
Wie auch immer: Der Blick zurück lässt ein bisschen Wehmut aufsteigen.
Ich komme aber bestimmt wieder!
Praktische Tipps zur Wanderung durch die Bucht zum Mont-Saint-Michel
Auf der Seite von Manche-Tourisme gibt es eine Liste der zugelassenen Guides de la Baie du Mont-Saint-Michel. Dort haben wir auch „unseren“ Ludo gefunden.
Einen GPS-Track habe ich zu unserer Tour nicht aufgenommen. Das hätte auch keinen Sinn, weil man je nach Wasserstand, Jahreszeit und Wetter jeweils andere Wege geht. Wir haben insgesamt etwa 13 Kilometer zurückgelegt. Die Gehzeit zum Klosterberg dauerte inklusive der „Treibsand-Vorführung“ etwa 2,5 Stunden, zurück waren wir etwas schneller.
Ihr solltet auf jeden Fall kurze Hosen anziehen, denn ihr müsst auf jeden Fall ein Stück durchs Wasser wandern. Meistens ist der Wasserstand noch etwas höher als auf meinen Bildern, da wir einen Tag mit einem sehr hohen Koeffizienten erwischt hatten. Oben herum könnt ihr selbst an warmen Tagen eine Jacke brauchen, da in der Bucht eigentlich immer ein bisschen Wind weht. Ein Sonnenhut oder wenigstens reichlich Sonnencreme sind auch nützlich, denn auf dem Weg gibt es naturgemäß keinen Schatten.
Da der Aufenthalt auf dem Mont-Saint-Michel relativ kurz ist und die Preise vor Ort gesalzen sind, solltet ihr eine Brotzeit und etwas zu trinken mitnehmen. Und Schuhe (Flipflops reichen), damit ihr nicht barfuß auf die Toilette gehen müsst.
Untrainierte bekommen vom Barfußwandern im Sand leicht Muskelkater, weil man da andere Muskel beansprucht als beim Gehen mit Schuhen auf festem Untergrund. Das Barfußgehen ist aber sehr gesund, noch abends prickeln einem die Fußsohlen vor lauter Freude. 🙂
Ausflüge in der Nähe und Buchtipp
Eine weitere schöne Wanderung an der Bucht des Mont-Saint-Michel findet ihr in meinem Post über die Küstenwanderung zur Cabane Vauban bei Carolles. Weiter nördlich liegt die alte Fischer- und Freibeuterstadt Granville, die ihr unbedingt besuchen solltet. Ich habe sie ich in meinem Post Granville erkunden – Stadtrundgang vom Hafen über die Pointe du Roc genauer beschrieben.
Die Wanderung durch die Bucht zum Mont-Saint-Michel gehört für mich zu den schönsten Erlebnissen, die ich in der Normandie genießen durfte. 79 weitere Orte und Unternehmungen in der Region, die einfach glücklich machen, findet ihr in meinem Buch Glücksorte in der Normandie: Fahr hin & werd glücklich (Amazon-Partnerlink*). Ich habe es gemeinsam mit meiner Freundin und Kollegin Hilke Maunder geschrieben.
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Wissenswertes zur Geschichte des Mont-Saint-Michel
Falls ihr noch nicht dort wart, solltet ihr euch auf jeden Fall Zeit nehmen, ein zweites Mal zum Mont-Saint-Michel zu kommen, denn die mittelalterliche Siedlung und die romanisch und gotisch geprägten Klosterbauten sind einen Besuch wert. Nicht umsonst bekamen Letztere schon im Mittelalter den Namen La Merveille, das Wunder.
Vermutlich war die Granitfelseninsel, die vor der Mündung des Flüsschens Couesnon in der sanften Bucht liegt, schon in prähistorischer Zeit ein Kultort. In der spätrömischen Epoche sollen dort Eremiten gelebt haben. Daher kam wohl auch der Name Mont Tombe.
Der Erzengel persönlich gab den Auftrag
Im Jahr 708 hatte Aubert, der Bischof von Avranches, eine Vision: Der Erzengel Michael erschien ihm und beauftragte ihn damit, ein Heiligtum auf dem Gipfel des Mont Tombe zu errichten. Aubert zögerte zuerst. Weil der Erzengel aber hartnäckig blieb, wurde 709 schließlich eine Kirche auf der Insel gebaut. Dorthin brachte man die Reliquien des Heiligen Michael, die aus Gargano stammten. So wurde aus dem Mont Tombe der Mont Saint-Michel.
966 vertrieb der damalige Herzog der Normandie die Chorherren, die noch auf der Insel lebten, und übergab Felsen und Kirche den Bedediktinern. Sie errichteten in den folgenden Jahrzehnten ein (romanisches) Kloster samt Abteikirche, das über Jahrhunderte hinweg umgebaut und erweitert wurde. Bereits im 13. Jahrhundert zog dieser sakrale Ort fromme Pilger an, so auch den französischen König Ludwig VII und den englischen König Henri II Plantagenêt. im 100-jährigen Krieg wurde der Berg des Heiligen Michael befestigt und geriet vorübergehend in englische Hand.
Im 15. Jahrhundert kamen die Pilger erneut in Scharen, bis die Religionskriege die Pilgerströme versiegen ließen. 1790 wurden im Zuge der französischen Revolution die letzten Mönche vertrieben, der Mont wurde daraufhin mehrere Jahrzehnte lang als Gefängnisinsel genutzt. Erst im Zeitalter der Romantik interessierte man sich wieder für diesen geschichsträchtigen Ort. 1897 wurde dann die große Statue des Erzengels Michael auf die Abteikirche gesetzt, die seitdem mehrere Male restauriert wurde.
Seit 1969 gibt es wieder Mönche im Kloster des Heiligen Michael. 1979 wurde der Mont-Saint-Michel samt der ihn umgebenden Bucht als UNESCO-Weltkulturerbe klassifiziert.
Liebe Barbara,
das sind tolle Eindrücke! Zu Fuß zu Mont-Saint-Michel zu gelangen und die Felseninsel Stück um Stück näher zu kommen, stelle ich mir magisch vor.
Viele schöne Wanderungen am Meer wünscht Dir
Sonja
Liebe Sonja,
„magisch“ trifft es ganz gut – man gerät wirklich in den Bann der Bucht, wenn man sie zu Fuß und mit geschärften Sinnen durchwandert.
Liebe Grüße, Barbara